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Zwischen Empörung und Freude

(lid.ch) - Ab 2023 soll die Schweizer Landwirtschaft erste Massnahmen im Rahmen der parlamentarischen Initiative 19.475 umsetzen. Der Bundesrat hat das erste Verordnungspaket für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft verabschiedet. Die verordneten Massnahmen treffen einerseits auf scharfe Kritik und andererseits auf verhaltene Anerkennung.

Von Renate Hodel

Die Parlamentarische Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» fordert Massnahmen, um schädliche Einflüsse auf die Umwelt durch Pflanzenschutzmittel weiter zu reduzieren. Mit dem "Massnahmenplan Sauberes Wasser" präsentierte der Bundesrat letztes Jahr einen Vorschlag, wie erste Forderungen der Initiative auf Verordnungsstufe umgesetzt werden sollen. Die Umsetzung erster Massnahmen wird mit dem vorliegenden Verordnungspaket nun konkret: Ab Anfang 2023 gelten neue Bestimmungen, welche die Landwirtschaft nachhaltiger machen sollen.

Ab 2023 weht ein anderer Wind

Ab dem 1. Januar 2023 dürfen in der Schweiz keine Pflanzenschutzmittel mehr verwendet werden dürfen, deren Wirkstoffe ein hohes potenzielles Risiko aufweisen. Allerdings räumt der Bundesrat hier noch Ausnahmen ein, falls keine risikoärmeren Alternativen zur Verfügung stehen sollten. Ausserdem soll die Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auf Ackerflächen und in Spezialkulturen mit neuen Direktzahlungsprogrammen weiter vorangetrieben werden. Somit würden risikoreiche Mittel eingeschränkt und die Risiken für Gewässer minimiert.

Auch die Nährstoffverluste will der Bundesrat angehen: Stickstoff- und Phosphor-Verluste sollen bis 2030 um 20 Prozent reduziert werden. Um dies zu erreichen, wird unter anderem der Fehlerbereich von 10 Prozent, der aktuell bei der Berechnung der Düngerbilanz toleriert wird, abgeschafft. Zudem müssten zukünftig auf mindestens 3,5 Prozent der Ackerfläche spezifische Biodiversitätsförderflächen angelegt werden, heisst es in den Ausfürungen des Bundesrats weiter. Die Massnahmen im Bereich der Nährstoffverluste würden aufgrund der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die weltweite Versorgung allerdings ein Jahr später auf 2024 in Kraft treten.

Kritik vom Bauernverband

Beim Schweizer Bauernverband sind die Ankündigungen des Bundesrats auf scharfe Kritik gestossen. Die verabschiedeten Verordnungen würden massiv über das Ziel hinausschiessen und die unverhältnismässigen Massnahmen schwächten die einheimische Lebensmittelproduktion und damit die Versorgung der Bevölkerung, moniert der Baiermverband: «Während in Europa sogar bestehende Biodiversitätsförderflächen wieder zur Produktion von Lebensmittel genutzt werden sollen, will die Schweizer Regierung nochmals 3,5 Prozent der besten Ackerböden aus der Produktion nehmen.» Auch bei der Reduktion der Nährstoffverluste verfolge der Bundesrat mit 20 Prozent völlig unrealistische Ziele. Diese Entscheide seien in keiner Art und Weise nachzuvollziehen, schreibt der Verband.

Kantone mit deutlicher Kritik

Update vom 21.4.22.: Auf wenig Anklang stösst der Bundesrats-Entscheid auch bei der Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren (LDK). Die Massnahmen seien viel zu kompliziert und deren Wirksamkeit müsse in Frage gestellt werden, heisst es. Die von den Kantonen seit Jahren geforderte Vereinfachung der Agrarpolitik rücke in weite Ferne. Die LDK fordert den Bundesrat dazu auf, endlich zusammen mit den Kantonen und den Bauernfamilien die Zukunft der Landwirtschaft zu gestalten, heisst es in einer Mitteilung.

Wohlwollen bei WWF

Die Naturschutzorganisation WWF hingegen nahm die Ankündigungen des Bundesrats mehrheitlich wohlwollend zu Kenntnis. Die Zusagen für weniger Pestizide, mehr Biodiversität und 20 Prozent weniger Nährstoffe habe der Bundesrat bereits vor der Abstimmung zu den Pestizid-Initiativen gemacht und halte diese nun wenigstens teilweise ein. Mit der Reduktion der Pestizidrisiken und der Stickstoffüberschüsse schütze der Bundesrat die hiesige Produktionsgrundlage und somit auch die langfristige Ernährungssicherheit, liess WWF Schweiz verlauten. Dass die Umsetzung einiger Massnahmen auf 2024 verschoben würden, sei allerdings zu bedauern, heisst es weiter: «Schade, dass der Bundesrat in diesem Bereich den Mut verlassen hat.» Wichtig sei aber, dass die Entscheide gefällt worden seien.

Agrarallianz sieht Chance und Herausforderung

Der Bundesrat nehme die Chance wahr, einen grossen Schritt in Richtung nachhaltigere Landwirtschaft zu gehen, heisst es in einer Mitteilung der Agrarallianz. Die Regierung habe die im Abstimmungskampf zu den Agrarinitiativen gemachten Versprechen gehalten und ambitionierte Ziele formuliert. Die Chance sei eine grosse Herausforderung für die Land- und Ernährungswirtschaft und könne gemeinsam gepackt werden.